LE HAVRE: wo der Sehenswürdigkeiten-Trip zur Architek-Tour wird

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Eine Stadt, über deren Schönheit man streiten kann. Die aber umso mehr fasziniert und zum Diskutieren anregt. Unsere Frage war: ist die Architektur von Le Havre – gut oder schlecht?


Die Stadt an der Mündung der Seine war nur eine kurze Station auf unserem Normandie Roadtrip. Doch die Sehenswürdigkeiten-Trip in Le Havre hat es in sich – und sich somit einen eigenen Beitrag verdient.

Ob es sich um gute – oder doch fragwürdige – Architektur handelt, darf (und muss) jeder für sich selbst entscheiden.

Ausgeflogen nach Le Havre: Architektur über die man streiten kann
1. Le Havre Architektur 1: wo mitten im Stadtzentrum gesegelt wird
2. Le Havre Architektur 2: Vulkan, Yoghurtbecher – oder doch Atommeiler?
3. Le Havre Architektur 3: rund um eine 50er Jahre Zukunftsvision
4. Le Havre Architektur 4: ein Empire State Building als Kirche
5. Le Havre Architektur 5: über die Seine auf der Pont de Normandie
6. Unser Fazit zur Le Havre Architektur: „schön“ – oder nicht?

Meine Tipps für den Stop Over in Le Havre: mehr Le Havre Architektur, wo parken, weitere Tipps für den Normandie Roadtrip

Eine alte Planstadt steht – als neue Planstadt – wieder auf

Le Havre wurde bereits 1517 als Kriegshafen planmäßig angelegt. Nach der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg, bei der im September 1944 ganze 150 Hektar im Stadtzentrum dem Boden gleichgemacht wurden, sollte die Stadt schnellstmöglich wieder aufgebaut werden.

Nicht nur der komplett unbrauchbar gewordene Hafen sollte neu entstehen, sondern vor allem massenhaft Wohnmöglichkeiten im Stadtinneren. In nur neun Baujahren wurde nach dem Kriegsende auf 250 Hektar eine „Musterstadt der Moderne“, angelehnt an den Stil Le Corbusiers, hochgezogen.

Als Baumaterial diente Bauschutt, der mit Kieselsteinen vermischt wurde. Wie meinte doch der Architekt des gigantischen Bauvorhabens: „Mein Beton ist schöner als Stein“. Die schöne Waschbetonplatten-Optik kann man noch heute ganz nah an der Kirche Saint-Joseph bewundern.

Seit 2005 ist die Stadt UNESCO Weltkulturerbe und erfreut sich dementsprechender internationaler Beachtung. Als erste moderne französische Stadt – aber auch als bislang einziges europäisches Stadtensemble des 20. Jahrhunderts – wurde dem Werk von Auguste Perret der Welterbetitel verliehen. Das wollten wir uns genauer ansehen.

Mehr zu unserem Normandie Roadtrip

Normandie Roadtrip

Le Havre war die fünfte Station unseres Normandie Roadtrips, bei dem wir uns auch den Mont-Saint-Michel, die Halbinsel Cotentin, die Landungsstrände der Normandie an der Perlmuttküste, Bayeux und Caen sowie die Blumenküste angesehen haben. Und auch an der Alabasterküste sowie in Rouen und auf den Spuren der Impressionisten zwischen Küste und Seine waren wir unterwegs.

Unser Normandie Roadtrip zum Nachfahren.

Die Anfahrt nach Le Havre – über „le Havre“

Le Havre ist – ein Hafen. Der Name kommt nicht von ungefähr, denn Le Havre ist keine unbedeutende Hafenstadt – die zweitgrößte Frankreichs, und der fünftgrößte Containerhafen der Welt.

Wir reiten aus Honfleur kommend aus südlicher Richtung durchs Hafengelände in die Stadt ein. Ein weitläufiges Areal mit typischem Raffineriegeruch – trotzdem kein Vergleich zu Rotterdam.

Das erste Le Havre Architektur Highlight: die Sichtachse zum „Empire State Building“ begleitet uns bereits bei der Einfahrt in die Stadt – auch ohne in den Reiseführer zu schauen hätten wir gewusst: dort müssen wir hin!

1. Wo mitten im Stadtzentrum gesegelt wird

Zuerst landen wir beim alten Stadthafen. Der einstige größte Kaffeehafen Frankreichs wurde im Krieg komplett zerstört. Vorbei am neuen Einkaufszentrum der Docks Vauban gelangen wir zum nächsten Hafenbecken, das uns bereits unübersehbar das zweite architektonische Highlight von Le Havre präsentiert (siehe nächster Punkt).

Le Havre Docks Vauban

An der Bassin du Commerce haben wir Glück und können der Segelschule beim Übungssegeln zwischen den alten Docks zusehen. Die Passerelle du Bassin du Commerce erinnert optisch leicht an die Pont de Normandie, die wir gerade noch vorhin von Honfleur aus „über-fahren“ haben (siehe Tipp 5).

  • Le Havre Architektur Bassin Commerce Vulkan
  • Le Havre Architektur Bassin Commerce Vulkan
  • Le Havre Architektur Bassin Commerce Vulkan
  • Le Havre Architektur Bassin Commerce Vulkan
  • Le Havre Architektur Bassin Commerce Vulkan

2. Vulkan, Yoghurtbecher – oder doch Atommeiler?

Oscar Niemeyer – der auch die Retortenhauptstadt Brasilia entworfen hat und damit das zweite weltweite Stadtensemble mit UNESCO Kulturerbe-Status – hat sich in Le Havre 1992 mit dem „Scène Nationale du Havre“ ein Denkmal gesetzt. Allerdings ein sehr fragwürdiges.

Für uns Architektur-Banausen ein doch recht merkwürdiger Anblick. „Le Volcan“ – oder der Yoghurtbecher, wie das Kulturzentrum von den Einheimischen liebevoll genannt wird – ruft in uns eher das Bild eines Atommeilers hervor. Bei näherer Betrachtung irritiert die schlecht getünchte weiße Fassade.

  • Le Havre Le Volcan
  • Le Havre Le Volcan
  • Le Havre Le Volcan

Daneben erinnert unübersehbar das Kriegerdenkmal an französische Kriege von Indochina bis Algerien, Tunesien und Marokko, natürlich fehlen auch die beiden Weltkriege nicht.

Mehr zu den Ausstellungen im „Vulkan“ hier.

3. Rund um eine 50er Jahre Zukunftsvision – Le Havre Architektur vom Feinsten

Abgesehen von einem weithin sichtbaren Empire State Building und einem etwas in die Jahre gekommenen Vulkan bzw. Atommeiler stellt sich uns die Frage: was ist nun diese berühmte Le Havre Architektur, was macht sie aus?

Wir erwarten uns monumentale futuristische Architektur, die wir aus Rotterdam kennen. Ein Gedankenfehler – denn futuristische Architektur hat Auguste Perret sehr wohl umgesetzt, allerdings aus dem Blickwinkel der 50er Jahre.

Für uns wirken die funktionalen Bauten mit den ewig gleichen Fassaden relativ schmucklos. Allerdings wurde hier in den 50er Jahren Funktion über Form – oder besser gesagt – Ästhetik gestellt. 200 quadratische Häuserblöcke wurden in die nach dem Krieg tatsächliche grüne Wiese gepflanzt.

Die tonangebenden Apartments stellt der ISAI Gebäudekomplex dar. Diese ersten Prototypen mit den getönten Fassaden wurden in aller Schnelle hochgezogen. 352 Apartments entstanden, zuerst dreigeschossig, aus Platzmangel sowie und Überlegungen zu Sonneneinstrahlung und Belüftung kamen zehngeschossige Wohntürme dazu.

  • Le Havre Architektur Wohnbauten
  • Le Havre Architektur
  • Le Havre Architektur Wohnbauten

Als Standardraster wurde das Maß von 6.24 Metern definiert – eine „musikalische Harmonie“ aufgrund der immer gleichen Grundrisse, aber auch optimale Funktionalität in Punkto Möblierung.

Das Rathaus von Le Havre fügt sich in diesem Stadtviertel als weitere Sehenswürdigkeit harmonisch ins Bild ein.

Le Havre Rathaus

Die ISAI Wohnblöcke befinden sich entlang der Rue de Paris sowie entlang der Fußgängerzone an der Rue Victor Hugo südlich des Rathauses – und somit auf dem Weg vom Bassin du Commerce zur Empire-State-Building-Kirche Église Saint-Joseph.

4. DIE Sehenswürdigkeit in Le Havre: ein Empire State Building als Kirche

Nicht nur, weil sie als Symbol für den Wiederaufbau von Le Havre steht, sondern weil sie uns seit der Einfahrt ins Stadtzentrum unaufhörlich ins Auge sticht: die Église Saint-Joseph ist nächster Programmpunkt auf unserer Le Havre Architek-Tour.


Der erste Gedanke: was für ein Riesen Trara…

Wir spazieren von den Wohnblöcken in Richtung Yachthafen und inspizieren das Gotteshaus im Look des Empire State Buildings nun aus der Nähe.

Der erste Eindruck: ein wirklich hässliches Gebäude. Wie soll eine Kirchenfassade aus Waschbetonplatten auch nur ansatzweise gefallen? Eine Ergänzung mit ein bisschen Marmor oder Stein hätte den 50.000 Tonnen Beton nicht geschadet – aber gut, darum gings nicht beim raschen Wiederaufbau in den 50ern. Und auch nicht bei der Devise von Auguste Perret: „Mein Beton ist schöner als der Stein….“

Unser Fazit von außen: die Èglise Saint-Joseph ist genauso „unschön“ wie das Gotteshaus Monte Grisa an den Karsthängen von Triest….


Aber dann innen: die Optik! die Akustik!

Schlagartig ändert sich unsere Meinung von dem ungewöhnlichen Gotteshaus: was von außen noch Skepsis hervorgerufen hat, übertrifft innen dann jegliche Erwartungen. Ein absolutes Sehenswürdigkeiten-Must in Le Havre!

Zuerst die Optik: Ein quadratischer Grundriss, um dessen Mitte Bänke wie im Uni-Hörsaal um die Kanzel herum angeordnet sind. Die klare Geometrie wird von den schlichten Säulen unterstützt, die hier keine Sicht verstellen. Der Blick nach oben in die Turmmitte orientiert sich ebenso an der klaren Linienführung. 12.768 bunte Glaskacheln sorgen für schummrige Lichtstimmung.

Dann die Akustik: Sphärenklänge aus den Ecklautsprechern verstärken die schummrige Atmosphäre in der Église Saint-Joseph – wie Schiffshörner oder dumpfe Walgesänge klingt die Lautinstallation. Wir verweilen einige Minuten auf den Kirchenbänken – ein perfekter Ort, um zu meditieren.

  • Le Havre Architektur Église Saint-Joseph
  • Le Havre Architektur Église Saint-Joseph
  • Le Havre Architektur Église Saint-Joseph
  • Le Havre Architektur Église Saint-Joseph
  • Le Havre Architektur Église Saint-Joseph

Irgendwie ist es nicht ganz falsch, was wir nach unserem Besuch auf den Schildern nachlesen: da ist von der Übersinnlichkeit der Kirche, dem Vorhandensein Gottes, Gottes Größe der Welt zu lesen. Und auch, dass die Église Saint-Joseph im Jahr 1959 „dem Kult“ ausgehändigt wurde. Wahrhaft kultig!

Die Èglise Saint-Joseph befindet sich an der Ecke Rue Louis Brindeau und Rue Séry.

5. Über die Seine auf der Pont de Normandie

Eine weitere Sehenswürdigkeit sowie ungewöhnliche Le Havre Architektur findet sich bei der Seine-Brücke nach Honfleur.

Bis 1959 war die Überquerung des mächtigen Stroms – der an der Mündung in den Ärmelkanal ganze fünf Kilometer breit ist – ab Rouen nur über Fähren möglich, ab 1977 kam die Pont Brotonne bei den Seineschleifen nahe Caudebec dazu.

Le Havre Brücke Pont de Normandie

Über die Brücke von Le Havre fährt man erst seit 1995 – aber dafür umso spektakulärer. Als eine der größten Schrägseilbrücken der Welt führt sie an ihrem Scheitelpunkt auf 52 Metern über die Seine. Zuerst geht’s also steil hinauf, dann steil hinunter. Auf der Pont de Normandie sind wir über zwei lange Kilometer unterwegs.

Für die Benützung Pont de Normandie ist Maut zu entrichten (€ 5,40). Wer länger unterwegs sein möchte: die Öresund-Brücke führt seit dem Jahr 2000 auf acht Kilometern von Dänemark nach Schweden.

6. Unser Fazit zur Le Havre Architektur: „schön“ – oder nicht?

Eins gleich vorweg: Wir sind Architekturmuffel und haben eigentlich gar keine Ahnung. Und können daher den Sehenswürdigkeiten-Trip nach Le Havre nur aus dem Blickwinkel von Touristen betrachten, die es auf ihrer Normandie Rundreise auch kurz ins Architekturmekka der Normandie verschlagen hat.

Erwartet hätten wir futuristische Architektur á la Rotterdam, wo wir aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen sind. Wie bereits erwähnt: der Denkfehler liegt bei uns: was in den 50er Jahren als Avantgarde galt, muss heute nicht mehr gefallen.

Schön“ haben wir die Architektur von Le Havre also nicht gefunden. Mit Sichtbeton liegt Le Havre zwar wieder im Trend, aber die Waschbetonplatten-Optik hat dann doch etwas verstört. Mit der Architektur des „Vulkan“ konnten wir uns auch nicht richtig anfreunden, dafür fanden wir die ISAI Wohnblöcke rund um die Fußgängerzone wieder ansprechender.

Rein optisch wird Le Havre immer den Beigeschmack einer etwas hässlichen Stadt haben, selbst wenn es architektonisch neue Maßstäbe gesetzt hat. Die Reiseführer sehen das übrigens ähnlich.


Wo es dann unbestreitbar schön ist/wird

Von Le Havre geht’s für uns weiter in Richtung Strand von Saint Adresse – allerdings nur im Vorbeifahren. Hinter uns liegen die Strände der Blumenküste, vor uns die Kreidefelsen und Strände der Alabasterküste.

Gut zu wissen: meine Tipps für den Sehenswürdigkeiten-Trip in Le Havre

  • Wo parken in Le Havre
    Wir haben am Bassin du Commerce geparkt, auch bei der Église Saint-Joseph hätten wir genügend Parkplätze vorgefunden.
  • Mehr Le Havre Architektur
    Freunde kubistischer (Bade-)Architektur können in den Les Bains des Docks von Jean Novel ins stylishe Nass eintauchen.

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