„GRENZ-ERFAHRUNGEN“: zwischen wunderschön & angsteinflößend
Wo Grenzen interessant daherkommen, welche kuriosen Grenzen es gibt, wo man Angst bekommen kann: ein Potpourri persönlicher Grenzerfahrungen.
Grenzen faszinieren mich seit jeher. Vielleicht liegts daran, dass ich an einer Grenze aufgewachsen bin: bei uns im nordöstlichen Weinviertel gings in meiner Kindheit und Jugend „rechts“ bzw. „oben“ nicht weiter. Wir konnten also gleich in zwei Himmelsrichtungen nicht aus – und wir warens gewohnt.
Ein paar weitere Grenzen durfte ich im Lauf der nächsten Jahre erkunden. Einige davon haben mich wirklich beeindruckt: Weil eine interessante Geschichte hinter der Grenzziehung steckt. Oder der Umgang mit der Grenze ein ungewöhnlicher ist. Oder weil sie durch interessantes Terrain verlaufen.
Hier das „Best of“ meiner persönlich besten „Grenz-Erfahrungen“.
1. wo die Grenzen recht interessant daherkommen
wo Berge im Weg sind
Der Corona-Virus hat es augenscheinlich gemacht: nicht nur 6 Straßen- bzw. Wegübergänge führen von Tirol nach Italien, sondern unzählige kleine Berg-Pfade. Alleine 47 Übergänge im Hochgebirge wurden zur Eindämmung des Corona-Virus geschlossen – und diese nur zwischen Tirol und Italien.
Wie viele kleine Berg-Grenzen es wohl in ganz Österreich sind? Wahrscheinlich unzählbar viele. Die Grenzübergänge in Skigebieten liegen dabei wohl noch im Bereich des Überschaubaren.
Kuriose Grenzlinien finden sich in Österreich bei unseren Tiroler und Vorarlberger Exklaven: Jungholz im Bezirk Reutte sowie das Kleinwalsertal sind ja bekanntlich gänzlich vom Rest Österreichs abgetrennt.
Mein Best of „Berg“-Grenzübergang
Der Tunnel zwischen Chile und Argentinien im Bergmassiv nahe des Aconcagua: Grenzabfertigung mitten drin im Herzen des Berges.
Aber auch der Grenzübertritt zwischen Österreich und Deutschland im Halleiner Salzbergwerks-Stollen war nicht alltäglich.
wo Flüsse und Seen Gemeinsames trennen
Ob Thaya, March oder Mur, Bodensee oder Neusiedler See: Österreich ist von Wasser-Grenzen umgeben.
Und dabei musste manchmal auch die eine oder andere Stadt daran glauben: Gornja Radgona (Oberradkersburg) lebt seit 1919 als eigenständige slowenische Stadt hinter der trennenden Mur weiter.
geteilte Städte
Nicht nur Bad Radkersburg teilt dieses Schicksal – auch bei diesen Ortsnachbarn ist heute getrennt, was in früheren Zeiten eins war: Großgmain und Bayerisch Gmain nahe Salzburg, Haibach und Bayerisch Haibach nahe Passau.
Oder: Aus Unterwielands bei Gmünd wurde České Velenice („Gmünd Bahnhof“), am Grenzübergang Nickelsdorf liegt der Ortsteil „Neue Teilung“.
offene Grenzen, geschlossene Grenzen
Sympathische Grenzübergänge findet man südlich von Leibnitz: zum nächsten Buschenschank spaziert man bei Ratsch an der Weinstraße am ehemaligen slowenischen – und mittlerweile umfunktionierten – Schlagbaum vorbei.
Warum es allerdings im östlichen Niederösterreich zwischen Hohenau und Berg – also den gesamten Verlauf der tschechischen Grenzlinie hinunter – bis heute keinen Straßen-Grenzübergang gibt, ist mir nach wie vor ein Rätsel.
2. welche Grenzen ich kurios gefunden habe
Argentinien-Chile
Nicht nur die Grenzstation im Aconcagua-Massiv (siehe oben) hat mich in Argentinien überrascht. Die beiden Länder, die sich bei ihrer Grenzziehung noch immer um einzelne Bergspitzen streiten, haben auch meinen Argentinien-Roadtrip nach Feuerland anno 2004 zu einem Kuriosum gemacht.
Los gings für mich kurz vor der Magellanstraße: vom Norden Argentiniens kommend gabs am „Paso Integración Austral“ den ersten Pass-Stempel. So weit, so gut. Danach wurde die Meerenge zwischen dem Festland und dem südlichsten Zipfel Südamerikas überwunden – auf chilenischem Boden. Kurz vor San Sebastián reiste ich dann wieder in Argentinien ein. Inklusive der Ausreise-Stempel ergab das vier Pass-Vermerke innerhalb weniger Stunden.
Noch dazu mussten bei jedem Grenzübertritt die Landkarten getauscht werden: auf den argentinischen Karten war das chilenische Territorium ausgegraut, auf den chilenischen galt die umgekehrte Situation.
Ob das heute auch noch so ist? In Zeiten von Google Maps eigentlich auch kein Thema mehr…
USA
Welcher USA-Reisende kennt nicht das umständliche und fragwürdige Einreise-Trara, das schon im Flugzeug mit dem Ausfüllen des Immigrations-Formulars beginnt? Wer gibt schon freiwillig an, böser Terr-orist zu sein?
Wer dann auch noch quer durchs Land unterwegs war, wird auch die Grenzkontrollen zwischen den einzelnen Bundesstaaten kennen. Auf unserem USA-Roadtrip haben wir viel und oft geschmuggelt – denn Obst hatten wir eigentlich immer dabei….
An den Grenzübergang nach Tijuana in Mexico kann ich mich nur mehr dunkel erinnern – er hat mich einfach zu sehr eingeschüchtert.
Definitiv allerdings kann ich mich an den Übergang zwischen Detroit und Windsor in Kanada erinnern – zwei Extrempole innerhalb von wenigen Minuten. Auf der einen Seite des Grenz-Tunnels die doch eher „properen“ Amerikaner, nach der kurzen Tunneldurchfahrt das völlig konträre Bild: sportliche und schlanke Kanadier, fast so wie zuhause in Europa…
Grenzenlosigkeit á la Europa
3 Länder, 2 Sprachen – 1 Region: im Dreiländereck Frankreich/Schweiz/Deutschland wird Grenzenlosigkeit gelebt. In der Bim verschwimmen sogar die Sprachgrenzen: zeitgleich zur französischen Durchsage in der Tram vom französischen St. Louis ins schweizerische Basel läuft der Infoscreen – auf deutsch.
Am Flughafen dafür die gegenteilige Situation: neben dem Ausgang nach Basel (CH) gibt’s den gesonderten Ausgang in die EU-Länder Deutschland und Frankreich.
Anders bei der Bahn: der Badische Bahnhof in Basel (CH) dient als Endstation für die Züge der Deutschen Bahn.
3. welche Grenzen mir Respekt eingeflößt haben
Russland
Nicht mein Moskau-Besuch 2019 war es, der mir einen gewaltigen Schrecken einjagte. Wobei: auch hier gabs für mich ungewohnte Visum- und Passkontrollen sowie Sicherheitskontrollen an Bahnhöfen und Hotels.
Damals aber, 1993, kurz nach Öffnung des Eisernen Vorhangs, gings für mich im Rahmen eines Schulausflugs (Russisch-Klasse) nach Moskau. Nie werde ich vergessen, wie ich am Einreiseschalter am Moskauer Flughafen elendslange vom optischen Rocky-IV-Lookalike Ivan Drago gemustert wurde (mein Passfoto zeigte mich mit 12 Jahren, mittlerweile war ich 17). Und das zeitgleich, während ich Angst haben musste, dass mich unser zerstreuter Reiseleiter=Russischprofessor am Flughafen zurücklassen würde – er war schon zum Abmarsch bereit. Ivan Drago ließ mich dann gottseidank doch noch passieren.
Tschechoslowakei
Jahrelang war das Alltag im nordöstlichen Weinviertel: „oben“ und „rechts“ war zu, und „von drüben“ wusste man nichts, bis auf die diversen Berichte der älteren Generation. Dass es Leute gab, die nicht nur in zwei, sondern in vier Himmelsrichtungen Bewegungsfreiheit hatten, wurde mir erst während meines Studiums in Wien so richtig bewusst….
Als Kind habe ich mich dann auch des Öfteren gefürchtet. Zum Beispiel bei der Fahrt entlang der March – im diffusen Zwielicht der gelblichen Straßenlaternen.
Oder auch beim Besuch einer Freundin, die ganz knapp an der Grenze wohnte: verpasste ich die Abbiegung in die Gasse, in der sie wohnte, musste ich fast am Grenzbalken umdrehen – und auch hier war wieder dieses gelbe Licht…..
Argentinien-Brasilien
Eine Situation die mich auch sehr lange begleitet hat:
Ich war im Überlandbus zwischen Argentinien und Brasilien unterwegs. Mit mir zahlreiche Händler mit unzähligen riesigen Transportboxen, die im Bauch des Busses verstaut wurden.
Dann kam der Grenzübergang. Ein brasilianischer Grenzpolizist – Typ Diego Maradona, grimmiger Blick – inspizierte den Bus (und gottseidank nicht mich: mit meiner Thrombosespritze im Backpacker-Rucksack habe ich ziemlich geschwitzt). Einige Händler mussten ihm danach in seinen Büro-Container folgen. Danach konnte ich nur mehr schemenhaft verfolgen, wie in diesem diverse Scheine den Besitzer wechselten….
Brasilien-Argentinien-Paraguay
Eigentlich ein wunderschöner Anblick: das Dreiländereck am Rio Paraná – Grenzgebiet in der Nähe der Iguazú-Fälle, bei denen ich kurz davor gewesen war.
Aber was man auch wusste: ein Drogen-Schmuggler-Eck par excellence. Gottseidank war ich schnell wieder weg….
4. wo Österreich an seine Grenzen stößt
„Heiß umfehdet, wild umstritten, liegst dem Erdteil du inmitten“ – umgeben von Bergen, Seen und Flüssen. Das ist Österreich.
Was an unseren Rändern an Landgrenzen übrig bleibt? Nicht sehr viel.
Was oben liegt, was unten ist, was sich links und rechts befindet, hat mich neugierig gemacht. Ich wollte mir die äußersten Begrenzungspunkte unseres Landes ansehen. Und habe mich dafür an den nördlichsten, südlichsten, westlichsten und östlichsten Punkt des Landes begeben.
Norden, Osten, Süden, Westen
Unser Land ganz oben und unten, links und rechts: die Ecken Österreichs.