Die LOOSHÄUSER in Pilsen: auf Architek-Tour im Brummel Haus
Auf den Spuren von Adolf Loos in Pilsen: Einblick in die Architektur der Moderne und das „Raumplan“-Konzept im Brummel Haus.
Ein Wochenende in Pilsen ist angesagt? Dann sollte man auch einen Besuch der Looshäuser andenken. Von den acht Luxusinterieuren, die vom Wegbereiter der modernen Architektur hier einst entworfen wurden, sind heute noch vier erhalten.
Das am besten erhaltene Objekt ist das Brummel Haus: Bei Einbaumöbeln und 100 Jahre alten Gadgets bekommt man einen guten Einblick in Adolf Loos´ Architekturverständnis – und sein Konzept des „Raumplans“.
2. Schlafzimmer und Badezimmer: Raumplan als Gestaltungskonzept
3. Wohnzimmer mit Kamin: Fokus auf das Innen statt aufs Außen
4. Esszimmer: Symmetrie statt Funktionalität – Adolf Loos vom Feinsten
5. Damensalon mit Schlafzimmer: Design-Zugeständnisse mit Einbaubett
Nicht nur Wien – auch Pilsen war Wirkungsstätte von Adolf Loos
Sein Hauptwerk kennt man: das nach dem Architekten benannte Looshaus am Michaelerplatz in Wien mit der typisch schmucklosen Fassade, das einst als „Haus ohne Augenbrauen“ verspottet wurde.
Bekannt ist Adolf Loos allerdings vor allem für seine Wohnungseinrichtungen. Insgesamt 56 Luxusinterieurs hat Adolf Loos in den Zwanziger und Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts gestaltet, neben Wien und Pilsen auch z.B. in Prag und Brünn. Neben Wien ist Pilsen der zweitwichtigste Ort, an dem man heute noch ausgiebig auf Spurensuche gehen kann.
In Pilsen hat sich das Brummel Haus am besten erhalten und lässt erahnen, was Loos unter seinem Konzept des „Raumplans“ verstand. Es befindet sich in einem einst wohlhabenden Stadtteil Pilsen, in dem sich viele jüdische Industrielle in direkter Nähe zu den Škoda-Werken exklusive Villen und Wohnungen errichten ließen.
Auch das Brummel Haus lässt außen jeglichen Schmuck vermissen, sowohl was die Fassade als auch den durch ihn geplanten Anbau betrifft. Purismus zählt aber vor allem im Innen: Statt Verschnörkelungen im Gründerzeitstil setzte Loos auf einfache geometrische Formen, Ecken und Kanten. Symmetrie statt Funktionalität stand im Vordergrund, aber auch die Aufteilung eines Raums je nach Funktion in unterschiedliche Geschoßhöhen – der bereits angesprochene „Raumplan“.
Bei der Besichtigung des Brummel Hauses trifft man auf Einrichtungslösungen und Gadgets, die heute als selbstverständlich gelten. Interessant, welche Designlösungen auf die Ideen des exzentrischen Brünner Architekten zurückgehen. Ikea lässt grüßen…
Das Brummel Haus: dank Kriegswirren noch heute gut erhalten
Das meiste Mobiliar im Brummel Haus ist im Original erhalten, wie man bei einer Führung durch das von Loos gestaltete Interieur erfährt. Kein Wunder, wenn man die Geschichte der Hausbewohner erfährt – gleichzeitig ein tragisches Kapitel Weltkriegsgeschichte.
Ursprünglich – und so wurde das Haus auch von Loos konzipiert – handelte es sich um das Zweigenerationenhaus der jüdischen Bewohner Jan und Jana Brummel sowie der alleinstehenden Hedwig Liebstein. Alle drei wurden im Krieg in ein Konzentrationslager deportiert, wovon nur das Ehepaar Brummel wieder nach Pilsen zurückkehrte. Die deutschen Bewohner, die in der Zwischenzeit das Haus übernommen hatten, konnten allerdings bei ihrer Flucht zu Kriegsende das Mobiliar nicht mit sich nehmen – zu plötzlich hatten die Angriffe der Alliierten auf die in unmittelbarer Nähe befindlichen Škoda-Werke eingesetzt.
Die Häuser rundherum fielen den Bombardierungen zum Opfer und wurden abgerissen. Das Ehepaar Brummel erhielt Wohn- und Schlafzimmer mit Bad und Flur zurück. Den Rest nahm ein Architektenclub in Anspruch, was dazu führte, dass auch unter den Kommunisten keine Änderungen am Interieur vorgenommen wurden.
Selbst heute ist das Brummel Haus noch im Besitz der Familie, das Gästebuch wird regelmäßig von einem in Prag lebenden Neffen konsultiert. Wie schön, dass das Erbe von Adolf Loos auf diese Weise noch immer gepflegt wird.
Das Brummel Haus Husova 58 kann als eines von vier Looshäusern in Pilsen besichtigt werden.
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1. Treppenhalle und Flur: schlichte Einstimmung auf das Luxusinterieur
Bereits in der Treppenhalle, die vom Goethehaus in Weimar inspiriert ist, bekommt man einen ersten Vorgeschmack auf die Vorliebe des Architekten für geometrische Figuren: die Strahlen der sechseckigen Wandleuchte werfen ein regelmäßiges Muster an die Wand.
Die Bezeichnung „Küche“ scheint für den nächsten Raum wohl etwas zu hoch gegriffen, doch in der schmalen Küchenzeile, die den Übergang zum Schlafzimmer markiert, fallen gleich einige Neuheiten der damaligen Zeit auf: So war in einem der Kästen ein Kühlschrank eingebaut, der jeden Morgen mit Eis aus der Pilsner Brauerei gefüllt wurde.
Der Übergang ins Schlafzimmer des Ehepaares Brummel erfolgte durch einen engen, dunklen Gang – eine gewollte Inszenierung des nächsten Raums, der in seiner Helligkeit im Vergleich zum Flur nun bedeutend größer wirkt.
2. Schlafzimmer und Badezimmer: Raumplan als Gestaltungskonzept
Ein gutes Beispiel für das Konzept des Raumplans ist das Schlafzimmer des Ehepaars Brummel. Je nach Funktion der Teilbereiche wurden hier unterschiedlich hohe Decken eingezogen. Ein Architektur-Stil, der in seiner Höchstform bei Loos in ineinander verschachtelten Räume kulminierte.
Ziel und Zweck war es, der Funktion zu folgen und damit unterschiedliche Atmosphären in einem Raum zu erzeugen. In diesem Fall sorgt die abgelassene Decke über dem Ehebett für intime Nähe.
Neu ist bei Loos, dass er die Schreibtische direkt an die Radiatoren setzte, um die Personen mit unmittelbarer Wärme zu versorgen. Aber vor allem der Schlafzimmerschrank verdient ungeteilte Aufmerksamkeit. Beeinflusst von Schlafcoupés in Eisenbahnabteilen war Loos einer der ersten, der Einbaumöbel in seinen Luxusinterieurs einsetzte.
Im Schlafzimmer des Brummel Hauses handelt es sich um eine Garderobe aus Kirschholz, in der sogar ein Krawattenhalter hängt – ebenfalls eine Erfindung aus jener Zeit. Auch das in Schubladen unterteilte Innere ist ein Anblick, den man nur zu gut aus dem großen schwedischen Möbelhaus kennt. Der Schrank wurde übrigens mit Originalkleidung bestückt.
Besonders praktischen Nutzen hatten die damals unübliche Vorrichtung in den Innenwänden der Schränke, in welche Regalböden auf die erwünschte Höhe eingebracht werden konnten – ein System, das man heute u.a. von IKEA kennt.
Die drei mit Spiegeln besetzten Paneele auf der anderen Seite des Schlafzimmers können für eine 3-D-Optik aufgeklappt werden, in der Mitte befindet sich allerdings die Tür zum Badezimmer.
Auch das Badezimmer hat mit einigen Spezialitäten aus der Zeit von Adolf Loos aufzuwarten, wenn auch hier einige Nachbildungen zu sehen sind und auch das WC vor Ort fehlt. Fliesen, die an den Ecken gerundet wurden und sehr eng aneinandergesetzt wurden, sind in dieser Form heute selten zu finden. Der Badezimmerboden ist heute noch im Original zu sehen.
3. Wohnzimmer mit Kamin: Fokus auf das Innen statt aufs Außen
Großzügig geht es im geräumigen Wohnzimmer weiter, in dem zuerst einmal die Sitzgruppe samt Sofa und der gewaltige Kamin auffallen.
Letzterer rückt mit seiner facettenreichen Verzierung enorm vom Loos´schen Stil ab, kann also nur ein Zugeständnis gewesen sein. Man weiß auch bis heute nicht, ob das Feuer im Kamin entzündet werden konnte oder ob dieser bloß als eindrucksvoller Eyecatcher diente.
Die verschiedenen Sitzmöbel wurden für verschiedene Personentypen konzipiert. Am allerwichtigsten in dem eichengetäfelten Raum war allerdings die Reduktion auf das Innen, das vom Außen abgeteilt sein sollte: Vorhänge trennen die Geschehnisse in der Außenwelt blickdicht vom Wohnraum ab.
Für Adolf Loos stand nicht Funktionalität, sondern Symmetrie an vorderster Stelle. Das ist eindeutig beim Blick aus dem Wohnzimmer auf den nächsten Raum zu erkennen, wo Säulen auf beiden Seiten des Raums für eine Ordnung der Zimmerflucht von Esszimmer, Gelbem Salon und Schlafzimmer sorgen.
4. Esszimmer: Symmetrie statt Funktionalität – Adolf Loos vom Feinsten
Auch im Esszimmer wird die Aufmerksamkeit auf das Innen gelenkt, statt ins Außen abzudriften. Wurzelwerk, das sonst nur für die Innenverkleidung von Schränken genutzt wird, dominiert hier als auffallende Wandvertäfelung den Raum und lässt dadurch das Licht in einem goldenen Schimmer erstrahlen. Die besondere Atmosphäre wird ergänzt durch die rot bemalten Radiatoren, die hier – nicht hinter einer Verkleidung versteckt – zu einem wichtigen Teil des Raumes werden.
Die inszenierte Landschaft, durch die der Gondoliere auf dem Wandbild gleitet, soll ebenso den Blick auf den Raum selbst lenken.
Und nicht zuletzt sind es die bereits besprochenen Säulen auf beiden Seiten, die dem Raum eine strenge Symmetrie verleihen.
5. Damensalon mit Schlafzimmer: Design-Zugeständnisse mit Einbaubett
Das „Gelbe Zimmer“ von Hedwig Liebstein, das der alleinstehenden Dame als Arbeitszimmer diente, passt nicht ganz in Loos´ Konzept: Auffällig sind hier die vielen Bilder an der Wand, die der Kunstliebhaberin in ihren eigenen vier Wänden zugestanden wurden.
Üblicherweise bestimmte Adolf Loos persönlich die Anordnung von Wandbildern – etwaige „unerlaubte“ Änderungen kontrollierte er, wenn er zum Essen bei seinen Kunden geladen war.
Hinter dem gelben Zimmer verbirgt sich das Schlafzimmer der Witwe, deren Bett ebenfalls auf die Inspiration des Architekten durch Eisenbahn-Schlafcoupés zurückzuführen ist.
Wie beim Schlafzimmer der Brummels ist auch hier die Decke über dem Bett niedriger eingezogen, das Bett selbst wurde an die Größe der Dame angepasst. In den Seitenregalen des Betts wurden Verstaulösungen eingebaut, ein Schminktisch direkt am Fenster platziert. Der Schrank diente als Durchgang zum Dienstbotenzimmer.
Vielen herzlichen Dank für die Einladung in die Region an Visit Pilsen (Pressereise). Meine Eindrücke bleiben davon jedoch unberührt.
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